„Ethnologin meiner selbst sein“

Scham als soziale Gestalt in Jugend erzählender Gegenwartsliteratur nach 1989/90

Autor/innen

  • Caroline Roeder

DOI:

https://doi.org/10.21248/gkjf-jb.166

Abstract

Der Blick des Beitrags richtet sich auf aktuelle deutschsprachige Gegenwartsliteratur, genauer auf Texte, die ein Heranwachsen in den Jahren nach 1989/90 in Deutschland erzählerisch rekonstruieren. Der Beitrag folgt der Fragestellung, inwiefern sich in diesem Textkorpus spezifische Konflikte und Schreibweisen identifizieren lassen, die als Folge gesellschaftlicher Transformationserfahrungen zu bewerten sind. Zunächst wird das Werk von Annie Ernaux herangezogen, um Aspekte der Autosoziobiographie-Forschung vorzustellen; insbesondere wird hierbei ihr Text Die Scham (2020) in den Blickpunkt gerückt. Daran anschließend bzw. in Verbindung damit wird der Fokus auf Scham als soziale Kategorie gelegt und die Untersuchungen des Soziologen Sighard Neckel herangezogen. Exemplarisch werden in der darauf folgenden Analyse zwei Texte in den Mittelpunkt gestellt: zum einen der kurze Text Eskalator rauf und runter von Manja Präkels (2022), zum anderen Lena Goreliks Roman Wer wir sind (2021). Präkels Text erinnert schmerzhaft an die Erfahrung des Systemwechsels 1989/90. Die Beschämungen, die sie aufzeigt, spiegeln aus der Sicht einer in der DDR Herangewachsenen tiefgreifende gesellschaftliche Transformationserfahrungen. Gorelik destilliert in ihrem Roman einschneidende migrationsbedingte Erlebnisse heraus, die durch Sprachbarrieren verschärft, v. a. aber durch die massive Erfahrung des sozialen Abstiegs ebenso wie durch die der Ausgrenzung bedingt sind. Die existenzielle Verunsicherung, die in beiden Texten aufscheint, wird ablesbar an Scham und Beschämung, die zur Sprache gebracht werden.

 

„To be an ethnologist of my own self” 
Die Scham as Social Quality in Contemporary Narrative Youth Literature since 1989/90 

This article focusses is on contemporary German-language literature, more precisely on texts that narratively reconstruct growing up in the years after 1989/1990 in Germany. The article examines the question of the extent to which specific conflicts and writing styles can be identified in this corpus of texts, conflicts and styles that can be evaluated as a consequence of experiences of social transformation. Firstly, the work of Annie Ernaux is used to present aspects of auto socio biography research, focussing in particular on her text Die Scham (2020). Following this, the focus shifts to shame as a social category with reference to the studies of the sociologist Sighard Neckel. The subsequent analysis focuses on two texts as examples: Manja Präkels’s short text Eskalator rauf und runter by (2022) and Lena Gorelik’s novel Wer wir sind (2021). Präkels’ text is a painful reminder of the experience of the systemic change in 1989/1990. From the perspective of someone who grew up in the GDR, the humiliations she describes reflect profound experiences of social transformation. In her novel Wer wir sind (2021), Gorelik refines incisive migration-related experiences that are exacerbated by language barriers, but above all by the massive experience of social decline and marginalisation. The existential insecurity that appears in both texts can be read in the shame and embarrassment that are exposed here.

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Veröffentlicht

2025-12-01

Ausgabe

Rubrik

BEITRÄGE AUS GESCHICHTE UND THEORIE